Das Interview
worlds of food: Herr Keller, es herrscht eine Hitzewelle in ganz Deutschland. Sie sind ein vielfach ausgezeichneter Koch aber auch Landwirt, züchten seit geraumer Zeit sehr naturnah und absolut artgerecht Rinder, Schweine und Hühner und verarbeiten diese auch selbst. Wie geht es Ihren Tieren derzeit?Franz Keller: Die Tiere sind gut versorgt, sie haben genug Wasser zur Verfügung. Auf unseren Weiden wächst aber schon länger nichts mehr nach, bis auf eine kleine Ausnahme hat es hier seit zweieinhalb Monaten nicht mehr geregnet. Futtermittel muss ich aber ohnehin immer zukaufen. Wir haben zwar nicht allzu viele Tiere, aber auch nur 14 Hektar Land und lassen diese von den Tieren, die ihre Zeit bis auf den Winter draußen verbringen, komplett abweiden.
worlds of food: Ist die derzeitige Hitzephase in Ihren Augen nur ein kleiner Vorgeschmack auf das, was uns in Sachen Klimawandel noch bevorsteht?
Franz Keller: Sicher erleben wir derzeit einen Wandel. Aber der Zeitraum, seitdem wir das messen und über den wir einen Überblick haben, ist doch sehr gering. Zudem gab es schon immer sehr große Schwankungen von Jahr zu Jahr. Aber die Extreme nehmen zu und eine Windhose wie jene im vergangenen Jahr, als hier bei uns im Rheingau einigen Bäumen die Wipfel mit ungeheurer Kraft einfach abgerissen wurden, war in unseren Breiten früher nicht bekannt.
worlds of food: Ich spreche das Thema an, da ein Gutteil dieses Klimawandels nach heutigen Erkenntnissen auch menschengemacht ist. Auch durch die industrielle Landwirtschaft heutzutage, bei der Vieh in rauen Mengen gehalten und generell Raubbau an der Natur betrieben wird. Genau darum geht es zu großen Teilen in Ihrem aktuellen Buch…
Franz Keller: Ich habe mir all diese Themen im Buch mal aus dem Kopf geschrieben, wollte einfach mal das loswerden, was mich tagtäglich beschäftigt. Ich möchte damit auf das Tierwohl und ganz generell auf Werte aufmerksam machen, die anscheinend in Vergessenheit geraten sind, oder die man erschreckenderweise als nicht mehr wichtig erachtet. Das perverse Ergebnis unserer heutigen Tierhaltung ist doch, dass Tiere und Umwelt leiden müssen, das Fleisch aber immer billiger wird, der Mensch daher zu viel davon isst und deshalb sehr ungesund lebt. Es ist ein Exzess in alle Richtungen.
worlds of food: Sind falsche Ernährung und nicht artgerechte Tierhaltung Folge der Politik oder ein Symptom unserer heutigen Gesellschaft?
Franz Keller: Sicherlich ist die heutige Gesellschaft zum Teil auch Folge der Politik, insofern beides. Wir leben in einem völlig deregulierten Kapitalismus, auch im Ernährungsbereich. Es gibt in meinen Augen zwar kein besseres System als eine Demokratie, aber auch in der Demokratie muss es Lenkung im Sinne des Staates oder besser im Sinne des Volkes geben. Der Politik-Apparat muss daher ein wenig mehr tun, er wird aber im Gegenteil immer verkopfter, immer theoretischer und dadurch kommt nicht das Beste dabei heraus.
worlds of food: Was wären Ihrer Ansicht nach denkbare Lösungsansätze für dieses Dilemma?
Franz Keller: Die ganze Landwirtschaft wird subventioniert. Vom Staat, von der EU – und ohne diese Subventionen würde sie auch gar nicht mehr funktionieren. Da sollte man ansetzen. Ich halte es für hirnrissig, etwas blind zu subventionieren, was komplett in die falsche Richtung geht. Das Problem liegt doch auf der Hand: In der Gesellschaft geht das Grundwissen über Ernährung, über das Kochen mit frischen und qualitativ hochwertigen Zutaten, abhanden. Dazu mögen unsere Politiker zwar hochgelehrt sein, oftmals füllen Sie aber ein Amt aus, für das sie keinerlei Expertise mitbringen. Da die Lage aber immer ernster wird und sich die gesellschaftlichen und politischen Diskussionen langsam aber sicher in Richtung mehr Gesundheit und in Richtung mehr Umweltschutz zuspitzen, habe ich Hoffnung, dass hier doch irgendwann ein Umdenken erfolgen kann.
Gute Freunde: Franz Keller (li.) und Eckart Witzigmann, der das Vorwort im Buch "Vom Einfachen das Beste" verfasst hat
worlds of food: Könnten da einzelne Gesetze oder andere schnelle Maßnahmen helfen?
Franz Keller: Sie spielen auf Lebensmittelampeln auf Produkten oder die Zuckersteuer in England an. Das ist ein Anfang und solche Veränderungen werden kommen. Aber das reicht nicht. Das mit der Ampel ist mir zu primitiv, unsere Lebensmittelindustrie, unser gesamtes System wird sich dadurch nicht ändern. Wird ein Produkt wegen der Zuckersteuer teurer, essen es die Leute zunächst vielleicht weniger. Auf der anderen Seite steht die Industrie dann aber mit zig Ersatzstoffen parat, die vielleicht noch viel schlimmer als Zucker sind. Und den Krankenkassen ist die Prävention gegen heutige Volkskrankheiten wie Diabetes mehr oder minder egal. Es gibt zwar oberflächliche Aktionen die vorbeugen sollen – im Endeffekt werden bei den ständig steigenden Gesundheitskosten aber doch wieder nur die Beiträge erhöht und diejenigen, die an den Krankheiten verdienen, freuen sich noch. All diese Ausweichmechanismen müssen im Kern erstickt werden, Ampeln und Steuern greifen da nicht tief genug. Die Mehrheit muss einfach wieder von Grund auf lernen, was gesundes Essen ist – und dabei muss der Staat helfen, diesen Systemwechsel muss die Politik anstoßen.
worlds of food: Für all diese Argumente liefern Sie größtenteils erschreckende, aber fundierte Fakten in Ihrem Buch. Wie aufwendig war die Recherche und wie viel geht auf Ihren eigenen, langjährigen Erfahrungsschatz als Koch zurück?
Franz Keller: Natürlich haben mir mein Wissen und meine Erfahrungen ungemein geholfen. Bevor man so ein Werk aber veröffentlicht, sollte man sicher sein, was die Fakten angeht. Daher habe ich auch umfassend recherchiert, man will ja keinen Quatsch schreiben.
worlds of food: Wie fielen denn bisher die Reaktionen auf Ihr Buch aus, welche Resonanz gab es beispielsweise aus den Reihen der Politik? Einen Nerv haben Sie definitiv getroffen…
Franz Keller: Dadurch, dass sich das Buch ja recht ordentlich verkauft – das überrascht und freut mich übrigens gleichermaßen – und ich auch in zahlreichen Fernsehsendungen und anderen Publikationen darüber sprechen darf, kommen Menschen aus verschiedenen Bereichen auf mich zu. Da gibt es jede Menge Unterstützer, Menschen mit konkreten Ideen und solche, die sich einer Diskussion stellen möchten. Natürlich bekomme ich mal auch Anfeindungen wie neulich die Beschimpfung „Schnitzelnazi“ durch einen extremen Vegetarier zu hören. Nur weil ich immer wieder empfehle, doch mal ein wirklich gutes Stück Fleisch von einem Bio-Schwein zu essen, das im Freien lebte und wesentlich älter werden durfte, als seine Artgenossen aus der Massentierhaltung. Leider gibt es das fast kaum zu kaufen, deshalb habe ich ja auch selbst damit begonnen, Tiere auf diese Art zu halten.
Franz Keller und eines seiner Rinder (©Céline Keller)
worlds of food: Sie erzählen in Ihrem Buch auch viel über Ihren eigenen Werdegang, über für den Leser äußerst unterhaltsame Erlebnisse in ihrer Lehrzeit unter anderem bei Paul Bocuse. Das schreit doch geradezu nach einem rein autobiografischen Buch in der Zukunft, oder?
Franz Keller: Da gäbe es in der Tat noch allerhand hanebüchene Abenteuer zu berichten und es gab auch schon Anfragen, das umzusetzen. Momentan habe ich aber zu viele andere Projekte, auch wegen des aktuellen Buchs. Aber so ist das in der Gastronomie, da erlebt man einfach jede Menge und langweilig wird einem nie. Ich denke zudem, es ist genau diese Mischung aus dem Anekdotenhaften und den harten Fakten zu unserer Ernährung, die zum Gelingen des Buchs beigetragen hat. Niemand will doch schließlich nur mit erhobenem Zeigefinger ins Gewissen geredet bekommen. So, wie viele Köche heute in jede Sauce Zucker mischen, damit es auch die Ahnungslosen lecker finden, habe ich versucht, die harte Kost, sprich die Anklage an unser Ernährungssystem, unterhaltsam zu verpacken.
worlds of food: Dann nehmen wir abschließend mit, dass wir in Zukunft mehr echte Experten in den einzelnen Politikfeldern brauchen, die Subventionen sinnvoll eingesetzt und an nachhaltige Produktion geknüpft werden sollten und der Bildungsauftrag an Schulen tiefgreifend um das Thema Ernährung ausgeweitet werden muss…
Franz Keller: …und Lobbyisten für all diese Belange wünschenswert wären. Es ist zwar eine kompliziertere Rechnung, aber mit zukunftsfähiger Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion lässt sich viel Geld einsparen und auch jede Menge verdienen. Alleine wenn wir die Kosten, die die Massentierhaltung anrichtet, auf den Fleischpreis anrechnen würden, würden viele mal bemerken, dass es so nicht weitergeht. Und diese Kosten, die durch die zunehmende Verseuchung des Bodens mit Gülle und die anschließende Reinigung des Grundwassers von Nitrat entstehen, werden weiter steigen. Es gibt aber auch genügend positive Argumente, wie der gesundheitliche Aspekt, wenn man weniger aber dafür besseres Fleisch isst. Ganz abgesehen davon, das es den Tieren dann auch besser ergehen würde. Diese Ziele müssen die Parteien endlich aufrichtig verfolgen. Wir haben es ja auch geschafft, vier Mülltonnen pro Haushalt zu installieren, dann sollten wir unserer Gesundheit zu Liebe auch bei unserer Ernährung in die richtige Spur finden.
Das aktuelle Buch von Franz Keller: „Vom Einfachen das Beste“
Vom Einfachen das Beste. Essen ist Politik oder Warum ich Bauer werden musste, um den perfekten Genuss zu finden256 Seiten
Hardcover mit Schutzumschlag mit schwarz-weiß Fotos
ISBN-10: 3864892031
Westend Verlag