„But Here We Are“ dröhnt aus den Boxen, die Theke mit Sitzplätzen für 14 Gäste und die direkt dahinterliegende Küche erstrahlen in grellem grün, die letzten Vorbereitungen des versierten Küchenteams um Gaggan Anand laufen direkt vor unseren Augen und Sommelier Vladimir Kojic serviert den ersten Tropfen seines modernen Wine-Pairings zum Dinner. Wie ein aufkommender Sturm kündigt der neue Rock-Song der Foo Fighters einen furiosen Abend an, liefert das Intro für ein aufregendes Dinner-Erlebnis, das in der gastronomischen Welt seinesgleichen sucht.

Gaggan Anands Neustart

Gaggan Anand, 1978 im indischen Kalkutta geboren und spätestens seit der Eröffnung des „Gaggan“ in Bangkok im Jahr 2010 in Thailand heimisch geworden, ist einer der bekanntesten Köche der Welt. Nicht von ungefähr, sorgt der Rockmusik-Liebhaber und Hobby-Schlagzeuger mit seiner energiegeladenen Küche, seiner charismatischen Art und den einzigartigen Erlebnissen, die er seinen Gästen beschert, für großes Aufsehen unter Gourmets und Foodies. Und auch die kulinarischen Weihen, die dem Restaurant zu Teil wurden, zeugen von seinem Erfolg: Zwei Michelin Sterne erkochte Gaggan Anand seinerzeit und viermal war das Gaggan auf Platz eins der Asia´s 50 Best Restaurants gelandet, einmal sogar auf Platz vier der The World´s 50 Best Restaurants.


Im November 2019 hatte Gaggan Anand sein Restaurant an einem anderen Standort, mit neuem Konzept und nun unter dem Namen „Gaggan Anand“ gerade erst wiedereröffnet, als ihm die Pandemie nur wenige Wochen später einen Strich durch die Rechnung machte. Es dauerte bis zum Frühjahr 2023, bis das Restaurant erneut eröffnen konnte, frei nach dem Motto der Foo Fighters: But here we are – hier sind wir also, allen widrigen Umständen zum Trotz und erneut auf dem Weg nach oben in Ranglisten und sonstigen Bewertungen.

Heute ist Gaggan Koch, Entertainer, Rockstar und DJ gleichermaßen. Immer wieder gibt er im Rahmen seines Dinners den Takt vor, ist Dirigent seines vielköpfigen Teams und sorgt an seinem Tablet für den Soundtrack, der die rasante Menüabfolge akustisch vorantreibt. So donnern die Ramones, Rage Against The Machine, Nirvana und – zur allgemeinen Erheiterung – auch mal ABBA durch die Lautsprecher und begleiten die Gäste durch den Abend.

Joghurt-Explosion und Rattenhirn

Wie gewohnt setzt der Inder dabei auf die Küche seiner Heimat, interpretiert diese unter dem Label „Progressive Indian Cuisine“ jedoch stets neu. So, wie bei seiner berühmt berüchtigten „Joghurt-Explosion“ direkt zum Einstieg in das Menü, die gleichsam Hommage an sein Heimatland, als auch an seine Zeit im El Bulli unter Molekular-Pabst Ferran Adrià ist. Berühmt ist sie deshalb, weil sie eines seiner Signature Dishes ist, berüchtigt weil die auf der eigenen Hand angerichtete Spähre, sofern man sich das kleine weiße Bällchen nicht komplett in den Mund schiebt, in der Hand aufplatzt.





In rascher Folge werden unter Beigabe von bunten Lichteffekten und reichlich provokantem Witz die weiteren Gänge des ersten Aktes serviert. Darunter der filigran zubereitete, indische Snack Murukku mit Curry-Blättern und, als emotionaler Höhepunkt der ersten 10 Gänge, ein Rattenhirn. Natürlich kein echtes, aber Gaggans zugehörige Anekdote zu dieser Panna Cotta aus Mais und Milch ist so köstlich wie das Gericht selbst: „Da die Ratten während des Monsuns die Kanalisation Bangkoks verlassen und leicht eingefangen und ähnlich einer Foie Gras verarbeitet werden können, ist dies ein brutal regionales Gericht, dessen Zutaten gewissermaßen von der Straße vor dem Restaurant stammen“, erklärt er seine Persiflage auf heutige Küchentrends, die in seinen Augen allzu häufig nur Greenwashing seien. Und doch genießen die Gäste nach der unterhaltsamen Schilderung des Küchenchefs das kleine Hirn mit gemischten Gefühlen, werden aber rasch versöhnt. Zum Beispiel von einer Spargel-Sonnenblume mit Roter Bete in der „Erde“ darunter und den ersten Desserts schon jetzt in der Mitte des Dinners. „Warum sollte man Desserts nur am Ende servieren, wenn alle schon satt sind?“ fragt Gaggan zum Ende des ersten Aktes schließlich in die Runde. Pause, kurz durchschnaufen, dann weiter.

Gaggan Anand – Kochen mit Knalleffekt

Den Auftakt zum zweiten Akt bildet dann wiederum ein Knalleffekt, denn schließlich „soll eine frisch gefangene Ratte doch auch von Nose to Tail, also in Gänze, verarbeitet werden.“ Deshalb serviert Gaggan Anand ein vermeintliches Stück Rattenfleisch als Bamboo Kebap mit „radioaktivem Rattenblut“ als unter Blaulicht strahlendes Sößchen. Alle wieder wach – aber keine Angst, der weitere Verlauf des Menüs ist einfacher zu verdauen. So kommen auch die übrigen, allesamt aufwendig zubereiteten Gänge, wie der japanische Schrimp, der kurz in flüssigen Stickstoff geeist und anschließend in zwei Saucen getaucht wird, die auf dem kühlen Schrimp gefrieren, ebenfalls ausgefeilt und perfekt angerichtet beim Gast an. Genau wie die Fish & Chips Kugel deren innere Kartoffelcreme mit bengalischem Senföl abgeschmeckt und von einer Hülle aus zunächst gedämpftem, anschließend getrocknetem und frittiertem Wolfsbarsch umgeben ist.



Gaggans letzter Gang ist dann zwar ein altbekannter Gag, bildet nun aber nicht mehr den Auftakt in das Menü wie früher, sondern, in süßer Form dargereicht, den Abschluss dieses abwechslungsreichen Abends: „Lick it up!“ ist das Motto, wenn der Gast mit musikalischer Untermalung durch die Weather Girls („It´s Reining Men“) eine wohlschmeckende Gewitterwolke vom Teller lecken soll. Halleluja!

Fazit eines besonderen Abends

Gaggan Anand serviert in seinem Restaurant in Bangkok mit seinem Team technisch komplexe und ausgeklügelte Kreationen mit Weitblick in ihrer kulinarischen Botschaft. Stets garniert er die einzelnen Gänge mit Hintergrundwissen zu den Zutaten, zur Ernährung an sich und zum Thema Nachhaltigkeit – keineswegs aber mit erhobenen Zeigefinger, sondern stets mit Witz und dem einen oder anderen Seitenhieb auf schwarze Schafe in der Lebensmittelindustrie.

Klar, dass dieses Konzept nur mit ihm funktioniert und egal ob in seinem mexikanisch-indischen Restaurant Ms. Maria & Mr Singh, das einen Stock über Gaggans Gourmet-Restaurant liegt, hinter der Theke seines Restaurants Gaggan Anand selbst oder beim Personalessen im Thai-Restaurant, wo wir den Abend gemeinsam mit ihm Revue passieren lassen – wo Gaggan Anand ist, herrscht beste Laune und eine gewinnbringende Portion Verrücktheit.

Auf bald also in Bangkok, wenn es wieder heißt: Vorhang auf für die verrückte Food Oper mit Gaggan Anand.



Weitere Informationen unter: gaggan.com

Hotel-Tipp: Auf der Suche nach einem passenden Hotel in der Metropole Bangkok sind wir im Public House fündig geworden. In guter Lage und nur einen Steinwurf von Gaggan Anands Restaurant entfernt, ist das elegante Boutique-Hotel der perfekte Ausgangspunkt für das kulinarische Abenteuer in einem der außergewöhnlichsten Restaurants unserer Zeit.