Doch unser Mitbewohner war schon in einer anderen Welt. Er drehte uns den Rücken zu und tastete sich wie auf dünnem Eis zu dem beige-gelblich schimmernden Kasten vor, der höhnisch und bösartig zu uns herüber zu grinsen schien. Den Stecker hatte Jörg schon vor Stunden aus der mit Ravioli-Sauce verkrusteten Steckdose gezogen und mittlerweile begann sich langsam, eine schmierige, urinfarbige Pfütze auf dem Vinylboden zu bilden. Wie ein Sumoringer baute Jörg sich vor seinem Gegner auf: dem Kühlschrank.
Mit einem Ruck öffnete er die Tür und wurde sofort hart getroffen von einer dicken grünen Wolke aus Aspergillus-Sporen, die der Rasen aus Schimmelpilzen über den brühig-matschigen, rosaroten Resten eines drei Monate alten griechischen Bauernsalates unaufhörlich in sein Gesicht schoss. Er taumelte zurück und hielt sich die brennenden Augen. „Jörg“, schrie Birgit panisch und wollte ihm zur Hilfe eilen, aber Sanne hielt sie zurück. Kurze Zeit war Jörg wie gelähmt, doch dann begann er, wie ein Wahnsinniger seinem Peiniger heißes Wasser entgegen zu schleudern. Dies war ein Fehler, denn dadurch erwachte die Dose halb eingetrockneter Tomatenheringe zu neuem Leben und startete mit Hilfe eines halben Liters gelierten Orangensaft einen wütenden Großangriff auf Jörgs Riechorgan. Dieser Strom verätzte seine Schleimhäute und ergoss sich aus der Nase und über die Mundwinkel. „Nicht hochziehen!“, rief ich ihm zu. Doch er hörte mich nicht mehr und begann in blinder Wut mit bloßen Händen die verwesenden Überbleibsel einer Pizza Margherita von den Gitterstäben zu kratzen. Dabei verstrickten sich seine Finger im Dickicht vergorener Spaghetti Carbonara. Beim Versuch sich loszureißen, stieß er eine Tüte geronnener Vollmilch um, die sich ätzend über seine Hose entleerte. Laut schrie Jörg vor Schmerzen auf und erbrach sich dann in eine Schüssel mit gestocktem Schokopudding.

Die Ärzte brauchten eine volle Stunde, um Jörgs Rachenhöhle von der Roten Beete zu befreien. Der Labortyp meinte später, in seinem Blut seien mehr Salmonellen gewesen als im Hirschauer Baggersee zur Badesaison. Aber er wird es schaffen. Sicher, den linken Geruchsnerv werden sie ihm wohl rausnehmen müssen. Aber mit Glück hat er vielleicht keine bleibenden Schäden – bis auf eine leichte chronische Übelkeit und eine Allergie auf Wurzelgemüse. Glück gehabt! Doch dieses Bild wie Jörg kopfüber in einem Brei aus Mayonnaise-Matjes-Rosenkohl-Fischstäbchen-Schokopudding-Bauernsalat liegt… Das werde ich nie vergessen. Klar frage ich mich, ob ich etwas hätte tun können. Doch was? Jörg war wie besessen von der Idee, den Kühlschrank abzutauen. Was kann man da machen? A man’s got to do what a man’s got to do.
Tipp: Kühlschrank korrekt befüllen
Schnell verderbliche Kost wie Fisch und Fleisch gehört auf die Glasplatte unten, weil die am kältesten ist. In den wärmeren Schubfächern darunter kann man Obst und Gemüse lagern. Das oberste Kühlfach ist meist das wärmste, mal abgesehen von der Kühlschranktür – hier finden Cola und Bier einen Platz.Und um meine WG aus früheren Zeiten geht es auch kurz in diesem Radio-Beitrag zu meinem aktuellen Buch „Essen kann jeder!“. Das Radio-Interview führte Rudi Küffner von „Servus Bayern“ im Bayerischen Rundfunk.