Mit dem neuen Alchemist hat Munk einen einzigartigen Kulinarik-Tempel geschaffen, der im wahrsten Sinne des Wortes alle Sinne anspricht. Das Gourmet-Drama ist inszeniert in fünf Akten, die sich in verschiedenen Räumen auf über 2.000 Quadratmetern innerhalb einer ehemaligen Lagerhalle im Kopenhagener Hafen abspielen. Sämtliche Gerichte sind sowohl geschmacklich als auch optisch spektakulär und obendrein mit eindringlichen Botschaften zu Themen, die uns alle angehen, garniert. Choreografiert ist das alles mit Videokunst, unterschiedlichen Temperaturen, Sounddesign und Musik.
Nicht umsonst schaffte das Restaurant Alchemist im Juni 2023 Mit Platz fünf den Sprung unter die Top Ten der World´s 50 Best Restaurants 2023 in Valencia. Wir haben den dänischen Spitzenkoch Rasmus Munk in dessen mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnetem Restaurant Alchemist in Kopenhagen zum Interview getroffen.
Das Interview mit Rasmus Munk
worlds of food: Rasmus, ich habe gelesen, Sie haben sich in Ihrer Jugend alles andere als gut ernährt. Wie sind Sie überhaupt zum Kochen gekommen und wie wurden Sie der Spitzenkoch, der Sie heute mit 32 Jahren sind?Rasmus Munk: Das passierte eher zufällig, da ein guter Freund eine Kochschule besuchen wollte. Ich hatte einfach keine bessere Idee, was ich nach der Schule machen sollte, also begannen wir die Ausbildung. Ich hatte von Beginn an Spaß an der Sache. Zum ersten Mal gab ich mir bei etwas Mühe, kam immer pünktlich und war interessiert, obwohl ich damals noch überhaupt nichts über Essen wusste. Es war eine neue Welt, ich kannte viele Produkte wie Kräuter überhaupt nicht. Mein Ausbilder, früher Chefkoch in einem Sterne-Restaurant, bot mir ein spezielles Trainee-Programm. Er nahm mich unter seine Fittiche und zeigte mir den Weg – heute sitzen wir hier im Alchemist und ich darf mich mit so viel mehr als nur mit Essen oder mit kochen beschäftigen. Wir sind hier Designer, Unternehmer und in gewisser Weise auch Forscher. Das konnte ich mir vor 15 Jahren natürlich alles noch nicht vorstellen.
Rasmus Munk und sein vielköpfiges Team
Sie brachten also viel Talent mit…
Nein, überhaupt nicht, um ehrlich zu sein. Aber ich hatte wie gesagt Spaß an der Sache und ich habe daran geglaubt, dass ich in der Küche etwas erreichen kann und bin stur geblieben. Das war noch wichtiger. Zusammen mit meinem Geschäftspartner und Investor haben wir dann diesen Ort gefunden, geträumt und daran geglaubt, hier etwas Tolles aufbauen zu können.
Hatten Sie damals Vorbilder aus dem Gastronomie-Bereich? Ihre beiden Katzen heißen beispielsweise heißen Ferran und Heston, nach den Molekularküchen-Pionieren Ferran Adria und Heston Blumenthal…
Woher wissen Sie das denn? (lacht)
Ebenfalls gelesen…
Verstehe, gut recherchiert. Aber ja, das stimmt. Vor allem über Ferran Adria zu lesen fand ich ungemein inspirierend. Leider war sein legendäres Restaurant El Bulli bereits geschlossen, als ich davon erfuhr. Ich habe aber auch ein Tattoo der US-Kochlegende Thomas Keller – für mich der Koch unserer Zeit und der erste, von dem ich ein wirklicher Fan wurde. Seine Kochbücher aus der French Laundry (San Francisco, Anm.d. Red.) und dem Per Se (New York) haben mich fasziniert. Generell habe ich die Kochbücher meiner Vorbilder verschlungen, um zu erfahren, was sie gekocht und entwickelt haben. Inzwischen war Ferran sogar schon hier zum Essen und auch Thomas Keller habe ich vor kurzem und nach ein paar Anläufen endlich in seinem Restaurant getroffen.
Rasmus Munk während der Bauphase im Alchemist
Nun sitzen wir hier in der neuen Version des Alchemist, das weit mehr als ein Restaurant ist. Hätten Sie eine solche Entwicklung im Jahr 2015 für möglich gehalten, als Sie das Alchemist erstmals und noch in kleinerem Rahmen eröffneten?
Nein, beim besten Willen nicht. Ich wollte damals keinen Investor, wollte frei sein und das tun, was ich möchte. Verrückte Ideen für meine Gerichte hatte ich damals schon, wollte Insekten und Innereien wie roh mariniertes Lammherz anbieten und diese Gerichte auch abgefahren servieren. Damals gab es zum Beispiel Seehecht an einem Spieß, der auf einem Goldfischglas mit einem lebendigen Fisch darin lag, oder Lammhirn, das mit Blüten in einem skelettierten Lammschädel angerichtet war. Da sollte mir niemand reinreden. Irgendwann kam mein heutiger Geschäftspartner Lars Seier zum Essen ins damalige Alchemist und sagte mir anschließend, ich solle es ihn wissen lassen, falls ich jemals etwas größeres machen wolle. Eigentlich lief das erste Alchemist damals gut, ich hätte das also nicht gebraucht. Aber die Chance wollte ich dann doch nicht ungenutzt verstreichen lassen. Vor allem dann nicht, wenn man gerne groß träumt. Bei unserem ersten Treffen bat er mich dann das Restaurant aufzuzeichnen, das ich mir vorstelle. So habe ich den großen Dome gemalt, eine große Theke darin und andere Dinge, die wir hier heute sehen. Ich habe ihm vorgerechnet, dass ich etwa 50 Köche und nochmal so viele Angestellte dafür bräuchte und kalkulierte mit etwa 2,5 Millionen Euro dafür. Ich rechnete damit, dass er das als Provokation auffasst und war sicher, dass er sofort ablehnt. Er meinte stattdessen, dass er gerne Teil von diesem Projekt sein wolle. Nach eineinhalb Jahren Verhandlungen und Planungen, haben wir dann begonnen das neue Alchemist umzusetzen.
Der Dome untermalt Munks Menü im Alchemist audiovisuell
Erzählen Sie etwas mehr zu dem Goldfischglas!
Das war definitiv eines der gewagtesten Gerichte im alten Restaurant und noch zu der Zeit, in der wir experimentierten, wie weit wir im Alchemist gehen können. Ich wollte das Restaurant und meinen Einfluss damals schon nutzen, etwas zu verändern. Etwas in der Gesellschaft bewegen. Deswegen dachte ich damals auch überhaupt nicht an irgendwelche Auszeichnungen oder ähnliches. Diese Experimentierphase und sämtliche Ideen dahinter, haben mein komplettes Denken bestimmt. Im Prinzip ging es bei dem Gericht mit dem Goldfischglas darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, wie wir mit Tieren umgehen und dass wir immer die Wahl haben, wie wir uns entscheiden. Die Idee basiert auf einer Installation des dänischen Künstler Marco Evaristti, der im Kolding Museum mal zehn Mixer aufgestellt hatte, in denen lebendige Goldfische schwammen. Die Besucher waren dazu angehalten, die Mixer anzuschalten. Wir nahmen dafür natürlich keine Mixer, sondern stellten die Goldfischgläser auf falsche Herdplatten, die täuschend echt aussahen – und was soll ich sagen, wir hatten tatsächlich Gäste, die die Herdplatten anzumachen versuchten. Das Wichtigste an dem Gericht war aber tatsächlich, dass uns die dadurch erzeugte mediale Aufmerksamkeit ermutigte, genau so weiterzumachen: Wenn wir das in einem so kleinen Restaurant für nur 15 Gäste schaffen, dann können wir schließlich noch mehr Menschen mit unseren Botschaften erreichen.
"Zungenkuss, 1984, Andy Warhol, Antwitch, Caged Chicken" - Eine Auswahl der Gerichte von Rasmus Munk
Dementsprechend wichtig war mir dann auch, mir im Vorfeld im Klaren darüber zu sein, was wir mit dem neuen Restaurant erreichen wollen und wie wir eine möglichst ganzheitliche Erfahrung für alle Sinne bieten können. Wir hatten bei der Planung 2017 schließlich so viele neue Ideen. Heute haben wir Grafiker, Soundspezialisten, Food-Wissenschaftler, Schauspieler, Tänzer und Industriedesigner im Team und es kommen immer weitere Sparten hinzu. Nicht wenige fragen uns, was sie denn erwartet. Ist es ein Restaurant, ein Oper oder ein Theater? Und die Anzahl der Gäste, die nicht nur wegen des Essens, sondern des gesamten Erlebnisses wegen hierherkommen, ist sehr hoch. Ich hoffe, uns kommen noch genug gute Ideen, damit das noch eine Weile so bleibt.
Wie entwickeln Sie ihre ausgefallenen Ideen und neue Gerichte? Und wie arbeiten die unterschiedlichen Abteilungen zusammen, wenn Sie ein neues Gericht kreieren?
Bis ein neues Gericht und alles, was im Alchemist dazu gehört, fertig ist, vergeht meistens viel Zeit, das Minimum ist sicher vier Monate. In der kommenden Woche stellen wir beispielsweise ein neues Gericht vor, an dem wir nun seit zwei Jahren arbeiten. Die Inspiration ziehe ich dabei zunächst aus dem täglichen Leben und aus dem was mich beschäftigt. Grundsätzlich ist die Überlegung, wie wir eine bessere Zukunft schaffen können und welche wichtigen gesellschaftlichen Probleme wir noch nicht thematisiert haben. Zudem verwenden wir in einem neuen Gericht immer auch eine neue Zubereitungstechnik oder ein neues Produkt. Das kann auch Zeit in Anspruch nehmen, bis das fertig entwickelt ist. Bei solch experimentellen Themen versuchen wir aber immer, eine Gleichgewicht aus Innovation und althergebrachten Aspekten wie den bekannten Aromen und Innovation zu schaffen.
Was kommt in dieser Hinsicht als Nächstes?
Wir wollen uns zukünftig vermehrt dem Thema Licht zuwenden. Die Aromen, Inhaltsstoffe, Texturen unseres Essens sind weitestgehend erforscht. Wie wir unser Essen betrachten, wie wir es unter anderem Licht sehen – ob von von oben beleuchtet oder mithilfe verschiedener Reflektionen – ist eine neue Herangehensweise. Wir wechseln also die Perspektive beim Blick auf unsere Ernährung.
Aktuell scheinen viele Probleme immer größer zu werden und jeder Gang hat bei Ihnen gewissermaßen ein Thema, auf das er aufmerksam machen soll. Leider ist es nur logisch, dass Sie bei den aktuell immer größer werdenden Probleme auf der Welt so viele Gänge anbieten müssen…
Ja, da ist es schwierig die Balance zu finden, was man dem Gast zumuten kann. Schließlich möchte ich auch nicht, dass der Gast nach dem Dinner das Restaurant komplett resigniert verlässt. Ich möchte provozieren, um eine Botschaft zu einem bestimmten Missstand zu übermitteln. Ich möchte niemanden verletzen damit, sondern zum Reflektieren und zu Gesprächen anregen. Wir achten daher auch darauf, wie es den einzelnen Gästen während des Menüs geht und reagieren bei der Präsentation der Gerichte auch darauf, wenn jemand zu betroffen ist. Dann servieren bei unserem Dessert Lifeline lieber Himbeereis anstelle der eigentlichen Blut-Eiscreme. Am Ende des Tages möchte ich aber sicher sein, dass jeder Gast die Message hinter den Gerichten verstanden hat.
"Food for Thought" - Rasmus Munk serviert Gerichte zum Nachdenken
Würden Sie von sich behaupten, Sie sind generell ein provokativer Typ, hören Sie gerne aggressivere Musik wie zum Beispiel Punk Rock?
Das ließe Rückschlüsse zu, aber nein. Ich bin mehr der Backstreet Boy Typ. (lacht) Ich glaube ich bin generell sehr bodenständig und ein eher ruhiger Typ. Mein Musikgeschmack ist breit gefächert. Ich habe einfach nur verstanden, dass das Mittel der Provokation ein sehr gutes ist, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Die Provokation ist gewissermaßen mein Werkzeug. Hätte ich Ihnen das Hähnchen nicht in einem Käfig und mit den projizierten Legebatterien darüber, sondern auf einem weißen Teller serviert und hätte einfach nur erzählt, dass es vielen Tieren schlecht geht, wäre der Effekt auf die Gäste nicht so groß und nachhaltig.
Sie haben auch eine Stiftung, mit der Sie tagtäglich etwa 350 Obdachlosen in Kopenhagen eine warme Mahlzeit zubereiten können, demonstrieren mit ihrem Menü unter anderem gegen nicht artgerechte Tierhaltung, gegen Kinderarbeit, gegen Lebensmittelverschwendung und den vielen Plastikmüll. Was ist Ihre wichtigste Botschaft?
Schwierig, aber zwei Themen besorgen mich am meisten. Unser größtes Problem ist sicherlich der Klimawandel, mit dem wir unmittelbar konfrontiert sind. Und andererseits ist die soziale Ungerechtigkeit in unseren Gesellschaften sehr schwerwiegend. Diesen beiden Themen möchte ich mich zukünftig vermehrt widmen.
Derk Hoberg traf Rasmus Munk (li.) zum Interview in dessen Restaurant Alchemist in Kopenhagen
Wagen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft: Überspitzt formuliert arbeiten Sie derzeit an einem Restaurant auf dem Mond. Erzählen Sie mehr.
Im Prinzip geht es um eine Studienarbeit über Gastronomie im Weltall. Eine Art Konzept, wie ein Restaurant auf dem Mond aussehen könnte und andere Fragestellungen. Wir erhielten dafür etwas Monderde um sie zu analysieren. Welche Pflanzen könnten darin gedeihen, was müsste man unternehmen, damit dort nicht dieselbe Zerstörung der dortigen Umweltbedingen passiert wie hier auf der Erde. Das ist natürlich komplett abstrakt, war aber sehr interessant und hat eine Menge Spaß gemacht. Genau das macht das Alchemist so spannend, dass wir durch all unsere Kontakte auch an solchen Projekten mitwirken dürfen.
Alle weiteren Informationen zum Alchemist und zu Rasmus Munk finden Sie hier: alchemist.dk