Eigentlich wollte ich mir den Laden ja nur angucken. Ich bin nämlich zufällig an einem Nespresso Laden vorbeigekommen. Nespresso. Das ist der Kaffee, den auch George Clooney schlürft. Habe ich „Laden“ gesagt? Entschuldigung, Nespresso-Boutique! Ich möchte fast sagen Nespresso -Tempel. Die Räumlichkeiten hier gleichen eher einem Juweliergeschäft. Wohin man schaut: Tropenholz, Edelmetall und Palmen. Es gibt sogar zwei Mitarbeiterinnen, die dem Kunden die Tür aufhalten.
Offensichtlich wandert hier stündlich Kaffee im Wert von mehreren Millionen über die Ladentheke. Überall stapeln sich die metallisch glänzenden Nespressokapseln wie Goldbarren in Fort Knox. Wahnsinn! Es ist Montag um 10 Uhr früh, und es ist alles gerammelt voll. Moment, ich bin ja der einzige Kunde!? Der Rest ist Personal... Acht Angestellte verteilt auf vier Kassen. Drei an der Nespresso Café-Bar. Zwei vor dem Nespresso Club Room. Zwei in dem Nespresso Club Room. Und acht Personen an der Nespresso Discovery Wall. Geil, oder? Discovery Wall – genau da stehe ich. Denn da ist ein Regal mit Kaffeemaschinen. Aber hier wird ja nicht irgendein Kaffee verkauft. Hier steht die Luxusflotte der weltweit operierenden koffeinhaltigen Heißgetränke. Hier wird Kaffee nicht verkauft, sondern in Form des modernsten Designs angebetet. Die ganze Aufmachung hat etwas Sakrales. Haben Sie gewusst, dass man Mitglied beim Nespresso Club sein muss, bevor man den Kaffee über das Internet bestellen darf? Vielleicht muss ich mir Nespresso eher als eine Art Religionsgemeinschaft vorstellen? Wie Scientology? Wo man sich in der Hierarchie langsam hochtrinken muss: Vom einfachen Kaffee-Adepten über den Hüter des heiligen Zuckerlöffels bis hin zum Hohepriester der Entkoffeinierung.
Der Verkäufer rezitiert die Angebots-Palette in Form einer italienischen Arie: „Wir haben drei Lungo-Sorten: Fortissio Lungo, Vivalto lungo und Finezzo Lungo. Und zehn Espressi: Arpeggio, Roma, Livanto, Capriccio, Volluto, Cosi, Indriya, Rosabaya, Dulsao und Ristretto.“ Ich stutze: „Was der Kaffee heißt Rosetto? Das klingt aber nicht so lecker!“ Der Mann verbessert mich geduldig. „Ristretto! Einer der beliebtesten Grands Crus“. Lässig sagt er das daher, Grands Crus, wie ein Sommelier, der Jahrzehnte in Bordeaux gekellnert hat. Ich antworte: „Super, haben Sie auch einen schönen Schonkaffee Spätlese aus dem Rheingau? Oder einen 1974er Mokka de Pomerol?“ Ich schaue in sein ausdruckloses Gesicht, diesen Witz hat er nicht verstanden.
Nestlé kam als erster auf die Idee mit dem portionierten Kaffee – in den Achtzigern. Da war aber die Zeit noch nicht reif, es regierten die Ökos. Wenn da ein Schweizer Großkonzern einen Laden mit Teakholz-Theke in Deutschland aufgemacht hätte, wäre er von Umweltaktivisten in die Luft gesprengt worden. Heute ist das Geschäft mit den Kapseln ein Milliardengeschäft. Klar, portionierter Kaffee passt super in unseren modernen Lifestyle: Der kurze Coffee-Shot für den trendigen Großstadt-Single zwischen Business Meeting und After-Work-Party. Nespresso hat den Kaffee aus dem Joch des Kaffeekränzchens befreit, wo er eingekerkert in Rosenthal-Tassen auf Spitzendeckchen unter dem Gekeife von, von Krampfadern geplagten, alten Schachteln ein kümmerliches Dasein fristete. Ich frage den Verkäufer, was so eine Stange mit Kapseln kostet. „10 Kapseln ungefähr 3,50 Euro!“ Ich überschlage im Kopf: Das heißt also 35 Cent pro Stück. Bei circa 6 Gramm Kaffee pro Kapsel. Das sind… Ich rufe begeistert aus: „Krass, das sind ja nur 60 Euro pro Kilo Kaffee!“ Er strahlt mich an. Ironie versteht er auch nicht.
Sind die Jungs irre? Für 60 Euro bekomme ich wilden, handverlesen Dschungel-Kaffee mit Öko-Premium-Siegel, der so fair gehandelt wurde, dass ein äthiopischer Kaffeesammler seine Kinder in Berlin Theaterwissenschaften studieren lassen kann. Doch eines interessiert mich noch, und ich wende mich dem Verkäufer erneut zu: „Diese Aluminiumkapseln – muss das wirklich sein?“ Ich erheische ein kurzes nervöses Zucken über der linken Augenbraue des Verkäufers. Er meint vorsichtig: „Aluminium ist das beste Material für die Aufbewahrung natürlicher Aromen!“ Ich antworte energisch: „Schon, aber laut eigenen Angaben von Nespresso werden derzeit 12300 Nespresso-Espressi pro Minute getrunken. Bei verarbeiteten 1,1 Gramm Aluminium pro Kapsel, kommt man damit auf 13,5 Kilo in der Minute, 811 Kilo in der Stunde und 19 Tonnen am Tag. Man schätzt, jährlich entstehen durch Nespresso ca. 6000 Tonnen Metallabfall. Das entspricht einem Schrotthaufen, der entsteht, wenn man den Eifelturm zersägt!“ Er sieht mich fassungslos an. Rechnen ist offensichtlich ebenfalls nicht seine Stärke.
Ich habe gelesen, zur Gewinnung von 1 Tonne Primäraluminium werden 13000 kWh Strom und 57m³ Wasser gebraucht. Dabei fallen jährlich Millionen Tonnen von Rotschlamm an. Das war das Zeug, das im Jahr 2010 in Ungarn die Flüsse vergiftete und Millionen Fische zur Strecke brachte. Ich schaue ihn scharf an: „Offensichtlich kann man von Ihrem Kaffee doch genug bekommen.“ Die Stimme des Verkäufers bekommt einen leicht weinerlichen Unterton: „Aber Aluminium ist ein Stoff, der unendlich oft recycelt werden kann.“ Jetzt werde ich langsam sauer: Diesen Spruch hat er aus der ausliegenden Nespresso-Broschüre mit dem fantastischen Titel „Ecolaboration“. Das Wort passt auch zu der ganzen Aufmachung des Ladens, denn auf Englisch hört sich selbst der größte Blödsinn irgendwie total schick an. Ich rufe laut: „Unendlich oft recycelbar? Warum nicht gleich: Aluminium steht für totale Rückführung von Altmetall unter Aufbringung übermenschlicher Anstrengungen in den Schoß der Volksgemeinschaft. Außerdem werden beim Recycling von Aluminium pro Tonne auch immerhin 1300 kWh und 1,7m³ Wasser verbraucht. Und das ist angesichts der Tatsache, dass normale Maschinen überhaupt kein Aluminium zum Kochen von Kaffee benötigen, doch relativ viel – oder etwa nicht? Kein Grund auf Saubermann zu machen. Man pinkelt auch nicht in den Garten vom Nachbarn und erklärt diesem, wie glücklich er sich schätzen kann, dass Sie heute schon Stuhlgang hatten, verstehen Sie?“ Tut er nicht. Metaphern als Stilmittel waren bei seiner Mitarbeiterschulung offensichtlich nicht auf dem Plan.
Und es wird noch besser: Nespresso verspricht, bis 2013 die Menge an recyceltem Aluminium zur Produktion ihrer Kapseln auf 75% zu verdreifachen. Das heißt also, bisher werden gerade mal 25% recyceltes Aluminium verarbeitet. Nespresso verwendet für seine Kapseln also einen Stoff, der zwar unendlich gut zu recyceln ist, aber eben nur nicht von Nespresso.
Okay, ich gebe zu, ich habe mich auf dieses Gespräch etwas vorbereitet. Die Stimme meines Gegenübers beginnt zu zittern: „Aber wir sind dem Dualen System angeschlossen“. Ja, Wahnsinn, das klingt als sei der gesamte Konzern geschlossen bei Greenpeace eingetreten. Also, das Zeug soll einfach in den gelben Sack gekloppt werden. Das ist natürlich ein visionäres Umweltkonzept. In vielen Städten, wie hier in München, gibt es keine gelben Säcke. Außer die Landesregierung hat sich eine schwere Hepatitis zugezogen!“ Was er mit dem lateinischen Wort im letzten Satz anfangen kann, können Sie sich sicher denken.
Klar, man kann das Aluminium auch in einen Sammelcontainer oder zum Wertstoffhof bringen. Das erscheint mir irre realistisch. Gerade hat eine grell geschminkte Dame mittleren Alters ihren Mercedes SLK trotz absolutem Halteverbots vor dem Geschäft geparkt und stöckelt in dunkelbraunen Pelz gehüllt ins Geschäft. Unter Wertstoffhof versteht die wahrscheinlich den Ort, wo sie ihre Diamanten gekauft bekommt, wenn ihr Göttergatte mal wieder die Chefsekretärin gebumst hat. Frauen dieses Kalibers werden erst dann einen Sammelcontainer besuchen, wenn Gucci die passenden Taschen für leere Prosecco-Flaschen erfunden hat. Müll zu produzieren gehört für Menschen dieses Standes zum Privileg ihrer gesellschaftlichen Stellung. Meine Stimme bekommt einen scharfen inquisitorischen Unterton: „Und was passiert mit dem Kaffee?“ Schweiß perlt langsam von der Stirn meines Gegenübers wie Kondenswasser vom Metallgehäuse einer Lattissima Chrome mit einklappbarem Abtropfgitter. Jetzt hat er Angst. Er weiß, noch ein falsche Antwort, und ich versohle ihm vor allen Mitarbeitern den nackten Hintern mit einer Stange Nespresso-Kapseln. Er nuschelt zaghaft: „Der wird bei der Aluminium-Aufarbeitung verbrannt.“
Ich brülle: „Und das ist ja genau das, was man mit Biomüll tun sollte, nicht wahr? In den gelben Sack und dann einfach abfackeln! Klar, der Himmel hält ja die größten Platz-Ressourcen für unseren Lifestyle-Abfall bereit. Die Millionen Tonnen von Kaffee müssen ja irgendwie zurück in die Herkunftsländer. Da eignet sich am besten der Kohlendioxid-Transfer über die Luft. Und mit der aufgeheizten Atmosphäre können wir dann unseren Café Crema warmhalten, was?“ Der Verkäufer bricht zusammen, wälzt sich vor mir auf den Boden und heult: „Was wollen Sie von mir hören? Natürlich verkaufen wir überteuerten Kaffee. Natürlich ist die beste Form der Aufbewahrung von Kaffee die Bohne selbst. Natürlich bietet die Kombination von Siebmaschine mit einer Kaffeemühle den frischesten Genuss mit der höchsten Wahlfreiheit. Natürlich können auch Nespresso-Kunden auf aluminiumfreie Alternativ-Systeme umsteigen. Mein Gott, es gibt sogar Kapseln, die wiederverwertbar sind. Nur stellen wir diese Dinger halt nicht her!“ Weißer Geifer umrahmt seinen Mund wie frischer Milchschaum. „Gut, mehr wollte ich ja nicht wissen!“, sage ich freundlich. Diese Lektion hat er offensichtlich gelernt. Er tut mir fast ein bisschen leid. Doch was soll ich machen?
It’s a dirty job, but someone’s gotta do it!
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Zur Person
Philipp Weber ist nicht nur ein hochtalentierter Kabarettist, er ist auch studierter Chemiker. Und mit dieser Doppelbegabung hat er es sich zur Aufgabe gemacht, Verbraucherschutz zur humoristischen Kunstform zu erheben. Denn lange vor Renate Künast hat Philipp Weber die politische Dimension von Essen erkannt. Sein neues Programm „Futter“ (Hier geht es zum Tour-Plan) ist, wie er selber meint, eine satirische Magenspiegelung der Gesellschaft. Da er nach seinen Vorstellungen immer wieder von Zuschauern angesprochen wurde, begann er, seine aktuellen Beobachtungen zum Thema Essen in seinem "Futterblog" zu dokumentieren.
Philipp Weber ist nicht nur ein hochtalentierter Kabarettist, er ist auch studierter Chemiker. Und mit dieser Doppelbegabung hat er es sich zur Aufgabe gemacht, Verbraucherschutz zur humoristischen Kunstform zu erheben. Denn lange vor Renate Künast hat Philipp Weber die politische Dimension von Essen erkannt. Sein neues Programm „Futter“ (Hier geht es zum Tour-Plan) ist, wie er selber meint, eine satirische Magenspiegelung der Gesellschaft. Da er nach seinen Vorstellungen immer wieder von Zuschauern angesprochen wurde, begann er, seine aktuellen Beobachtungen zum Thema Essen in seinem "Futterblog" zu dokumentieren.