René Redzepi: Zugegeben, ich bin ein wenig müde. Heute ist Sonntag, das Noma hat geschlossen und ich nutze diesen Tag normalerweise, um auszuspannen. Heute ging es aber sehr früh in den Flieger zum Interview hier in München.
Sie sagten einmal, es war ein langer, harter Prozess, die „Nordic Cuisine“ zu dem zu machen, was sie heute ist. Sind Sie auch müde, was die nordische Küche angeht?
René Redzepi: Nein, ganz im Gegenteil. Es macht mehr Spaß denn je. Wir planen ja gerade den Umzug in das neue Noma und ich hoffe, dass ich dort für den Rest meines Lebens arbeiten werde. Dort habe ich nämlich alles, was ich für meine Idee der nordischen Küche benötige.
Mit knapp 40 Jahren hätten Sie dann Ihr Ziel bereits erreicht?
René Redzepi: Ich hoffe es. Es ist eine Art Neustart und ich bin noch jung genug, diesen Schritt jetzt zu gehen. Ich möchte dort am neuen Standort all das endgültig perfektionieren, wofür wir in den vergangenen 13 Jahren im Noma geübt haben.
René Redzepi (li) und Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann bei der Premiere von "Noma" in München
Hier erfahren Sie alles über den Film "Noma"
Wie wichtig sind Auszeichnungen wie Michelin-Sterne dabei für Sie?
René Redzepi: Natürlich sind Michelin-Sterne ungemein wichtig für das Renommee. Aber, und das ist definitiv Fakt, wenn wir es nicht bis ganz nach oben auf die Liste der 50 besten Restaurants der Welt geschafft hätten, würde ich nicht hier sitzen. Dann gäbe es auch keinen Film. Diese Liste hat die Geschichte unseres und aller anderen Restaurants verändert, auch wenn es insgesamt natürlich total irrational ist, Restaurants in eine Rangliste zu packen. Nicht falsch verstehen, ich glaube, wir sind heutzutage besser denn je. Aber als wir 2010 zum ersten Mal zum besten Restaurant der Welt gewählt wurden, habe ich uns ungefähr auf Platz 750 gesehen. Heute sind wir womöglich auf Position 450 vorgerückt.
Werden Sie das alte Restaurant nicht vermissen?
René Redzepi: Nein, absolut nicht. Damit bin ich durch und ich hege keinerlei nostalgische Gefühle. Im Ernst, 13 erfolgreiche Jahre dort sind genug. Das Problem mit anhaltendem Erfolg ist, dass er Routinen erzeugt. Aus diesen Routinen will ich nun wieder ausbrechen.
Was wird sich denn im neuen Noma alles ändern?
René Redzepi: Wir werden nicht von der nordischen Küche zur italienischen wechseln und es wird nicht komplett anders sein. Wir wollen uns nur neue Möglichkeiten geben, um all unsere Ideen umzusetzen. Das erfordert eine neue Location. Alleine die neue Adresse und das neue Umfeld wird zu einer Weiterentwicklung beitragen. Deshalb profitieren wir ungemein von unseren Pop-Up-Restaurants in Tokio, Sidney und jetzt dann in Mexiko. Wir bleiben wir selbst, unsere Ideen die gleichen, wir müssen aber dennoch vieles ganz anders machen. Wo das enden wird, weiß ich selbst noch nicht zum jetzigen Zeitpunkt.
Wie wird das ganz konkret aussehen?
René Redzepi: Wir werden in ein zwei Kilometer vom alten Restaurant entferntes Objekt ziehen, das an einem See in Kopenhagens alternativem Stadtteil Christiania liegt. Das Gelände hat 7.000 Quadratmeter Außenfläche und etwa 1.500 im Inneren des Gebäudes, wo wir mittags und abends jeweils 40 Gäste bewirten können. Draußen werden wir eine große Urban Farm errichten, vor allem Kräuter, Salat und Beeren anpflanzen. Alles eben, was keine tiefen Wurzeln benötigt, um toll zu schmecken. Dort können unsere Farmer dann mit seltenen Sorten experimentieren und wir in der Küche profitieren von neuen Geschmäckern. Und wir werden zukünftig noch stärker saisonal arbeiten. Wir haben jahrelang überlegt, wie wir das noch intensivieren können.
Wie wollen Sie das ändern?
René Redzepi: Wir werden uns komplett an den drei Jahreszeiten orientieren, die wir in Nordeuropa haben: Im Winter werden wir uns dem Ozean zuwenden. Auf dem Land gedeiht dann nichts, aber im Meer herrscht Hochsaison. Das Wasser ist kalt, die Biodiversität ist dann am größten und die Fische haben die beste Qualität. Unser Ansatz geht dahin, nicht mehr nur eine, zwei oder drei Zutaten aus dem Meer in unser Menü einzubauen, sondern wir verwandeln uns zu dieser Zeit in ein komplettes Meeresrestaurant mit dem Fokus auf einigen wenigen, guten Gängen. Wenn das Wetter sich dann ändert, alles grünt und erblüht, dann brauchen wir doch kein Fleisch oder Fisch mehr auf der Karte. Das Pflanzenreich bietet uns dann alles, was wir benötigen und so werden wir den Sommer über zu einem vegetarischen Restaurant, das dann aber wesentlich mehr Gänge serviert, als noch im Winter. Im Herbst spielt sich das Leben schließlich im Wald ab. Dann gibt es gutes Wildfleisch, die Pilze wachsen, die Beeren sind reif und wir verwenden nur, was wir von dort bekommen. Wir servieren dann schon mal ein großes Stück Fleisch für alle am Tisch mit vielen verschiedenen Zutaten dazu.
Haben Sie keine Sorge, dass dieses Experiment schief gehen könnte?
René Redzepi: Doch, natürlich. Es ging uns gut im alten Noma und es gab eigentlich keinen Grund, daran etwas zu ändern. Das Team funktioniert so perfekt, dass ich auch mal drei Wochen abwesend sein könnte, ohne, dass etwas passiert. Das alte Restaurant war immer ausgebucht und nun stehen wir wahrscheinlich für zwei Jahrzehnte bei der Bank in der Kreide. Andererseits entwickelt man sich nur so wirklich weiter, man muss seine Komfortzone verlassen, um den nächsten Schritt zu machen. Und ich bin auch der Meinung, dass wir uns bestmöglich auf das neue Noma vorbereitet haben.
Sie kochen ausschließlich mit regionalen Zutaten und fahren immer nur mit dem Fahrrad zur Arbeit. Ist Nachhaltigkeit die treibende Kraft hinter der Nordic Cuisine?
René Redzepi: Nein. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass die regionale Küche im Noma politisch motiviert ist. Natürlich liegt mir als Individuum und als Familienvater die Umwelt am Herzen – ich wäre ja dumm, wenn das nicht so wäre. Aber das Noma und seine Art der Küche sollen kein umweltpolitisches Statement darstellen.
Manche Köche, unter anderem auch Sie, sind heute regelrechte Superstars. Haben Sie eine Erklärung für dieses Phänomen?
René Redzepi: Ich schätze, dass Köche zukünftig die neuen Cristiano Ronaldos werden. Im Ernst. Das liegt auch an unserer digitalisierten Welt, in der Essen eine einzigartige analoge Erfahrung bleiben wird, die wir alle teilen. Unsere Handys können wir nun einmal nicht essen. Deshalb glaube auch nicht, dass der Hype um Köche oder Kochshows bald enden wird und das ist auch gut für unseren gesamten Berufsstand, der eine Aufwertung dringend benötigt. Ich hoffe nur, dass diese Köche dann nicht so enden wie manche Fußballer und nur noch mit dicken Karren durch die Gegend fahren.
Warum denken Sie, dass das Kochhandwerk eine Aufwertung benötigt?
René Redzepi: Köche arbeiten so viele Stunden am Tag, verdienen gleichzeitig aber noch immer zu wenig. Die breite Masse weiß noch immer nicht, wie viel Arbeit hinter diesem Beruf steckt und möchte möglichst wenig für ein Menü bezahlen. Dadurch können sich die meisten Küchenangestellten auch kein normales Mittelklasseleben leisten. Kein kleines Häuschen im Vorort, kein Sommerurlaub oder auch mal einen kleinen Winterurlaub. Auch das Essen selbst wird nicht genügend wertgeschätzt. Einerseits haben viele einen „Food-Fetisch“, fotografieren und posten alles, andererseits werden so viele Lebensmittel immer noch einfach achtlos weggeworfen. Da gibt es einige Missverhältnisse.
Welche Küche kochen und genießen Sie denn privat? Abgesehen natürlich von der Nordic Cuisine…
René Redzepi: Ich würde nicht sagen, dass ich die nordeuropäische Küche am liebsten mag (lacht). Zumindest nicht als alltägliches Essen. Ich mag natürlich die Küche aus der Heimat meines Vaters, aus Mazedonien. Die Menschen dort essen so gut, obwohl sie sehr wenig Geld haben. Ich mag auch die italienische Küche, viel mehr, als die eigentliche dänische. Die besteht nämlich aus einen Stück Fleisch oder Wurst mit Kartoffeln und bietet fast keinerlei Abwechslung. Am meisten beeindrucken mich aber die japanische und die mexikanische Küche. Tacos finde ich geradezu göttlich.
Kochen Sie in den eigenen vier Wänden?
René Redzepi: Weil ich so viel arbeite, komme ich zu Hause nicht sehr oft dazu, zu kochen. Ich mag es aber auch sehr, bekocht zu werden und ich habe das Glück, dass sowohl meine Frau als auch ihre Mutter, die bei uns lebt, hervorragend kochen können.
Sie wurden mal als der Poet des Essens bezeichnet. Stimmen Sie dieser Aussage abschließend zu?
René Redzepi: Nein, überhaupt nicht. Ich würde mich eher als Kleinkind in Sachen Kochen bezeichnen, das ausprobiert, hinfällt und wieder aufsteht.
Wie alt sind Sie denn als kochendes Kleinkind?
Ich mache gerade meine ersten Schritte…
Der Trailer zum Film "Noma"