Mehr Gelassenheit in der Küche, mehr Genuss für den Gast - für diesen hoffnungsvollen Trend stünde auch die Tatsache, dass unter den Neueröffnungen in Deutschland anspruchsvolle Bistro-Konzepte dominierten. Und dass dieses kulinarische Downgrading von einem lässiger gekleideten und auftretenden Service begleitet wird, bekräftige dies weiterhin.
Die Restauranttester begrüßen auch das zunehmende Bemühen um eine „neue deutsche Küche mit kompromisslosem Bekenntnis zur Region als Antwort auf die kalifornische Locavore- Bewegung mit ihrer ,Farm to table'-Produktphilosophie und auf den konsequenten Regionalismus der Neuen Nordischen Küche. Statt viel Geld in den Einkauf klassischer Luxusprodukte zu stecken, investieren die jungen deutschen Köche viel Arbeitszeit, Schweiß und Kopfzerbrechen in die Entwicklung heimischer Delikatessen. Vehement kritisiert der Guide, dass gleichzeitig weiterhin „landauf, landab gedankenlos kopiert wird. Wir haben nichts gegen Kohlrabi, Rettich, Steckrübe, Schwarzwurzel & Co., aber müssen diese eher bodenständigen Rübenarten allüberall zu kulinarischen Scheinriesen aufgeplustert werden? Müssen wir in jedem Restaurant Fermentiertes zu essen bekommen? Oder ,gepickeltes Gemüse, das Speisekarten-Unwort des Jahres mit seinem unappetitlich dermatologischen Unterton? Auch auf das 2016 offenbar unumgängliche Tannenwipfelaroma, vorzugsweise in Desserts, könnten wir in Zukunft verzichten, ebenso wie auf die über ganz Deutschland herabrieselnden Fichtensprossen.“
Koch des Jahres: Andreas Krolik
„Für seine vielschichtigen Geschmacksharmonien, mit denen er seine Gäste in neue kulinarische Welten führt“, kürt der Guide den 42-jährigen Andreas Krolik vom Frankfurter Restaurant Lafleur zum „Koch des Jahres“. „Er bietet jedem Gast das Optimum an Geschmack und profiliert sich dabei nicht nur als feinfühliger Aromenjongleur, sondern auch als einer der besten Gemüseköche Deutschlands“, urteilen die Tester. Und schwärmen: „Kroliks Küche kommt nie wuchtig oder effektheischend daher, entfaltet am Gaumen aber geradezu explosive Kraft, beispielsweise beim gedämpften und kurz mit starker Oberhitze gratinierten Carabinero mit Schinkenknusper in feinst abgeschmeckter Krustentierbísque, dazu eine minzschwangere Erbsencreme, handgerollter Blumenkohl-Couscous und ein Mundvoll Japan in Form fermentierter Yuzu mit Miso und Soya. Als eines der geschmacklich komplexesten Gerichte dieser Testsaison bietet er Brust, Keule und geschmortes Confit vom Schwarzfederhuhn, dazu ein pochiertes, auf weißem Bohnenpüree thronendes Bio-Ei, Bohnenkrautsalat, alles umspielt von konzentriertem Geflügel-Dashi-Sud.“ Für solche Gerichte erhält der in Erdeborn bei Halle an der Saale geborene Hobbyangler, der seine Urlaube gern an norwegischen Fiorden verlebt, in der Küche Hard Rock hört und in seiner Freizeit daheim Steinpilze sammelt, 18 von 20 möglichen Punkten.Die Restaurants mit den meisten Punkten im Gault Millau
An der Spitze der kulinarischen Hitparade des Gault Millau stehen mit 19,5 Punkten wie im Vorjahr:Klaus Erfort vom „GästeHaus“ in Saarbrücken „zeigt in seinem Status, oft kopiert, aber nicht erreicht zu werden, ein derartiges Gespür für Aromenkombinationen, Konsistenzen und Betonung des Eigengeschmacks der Produkte, dass es fast schon überirdisch wirkt“.
Christian Jürgens von der Überfahrt in Rottach-Egern am Tegernsee „überrascht in seinen bei aller Geschmackstiefe auch sehr bildhaft, als Fest der Ästhetik dargebotenen Gerichten die Gäste gern mit Illusionen wie dem täuschend echt nachgebildeten Apfel. der Blutwurst, Gänseleber, Silberzwiebelchen und Apfelconfít enthält.“
Helmut Thieltges vom Waldhotel Sonnora in Dreis bei Wittlich (Südeifel) „bekommt seine Inspirationen in erster Linie durch die Qualität der von ihm verwendeten Produkte. Für ihn kommt nur das Allerbeste infrage, Einkaufspreise spielen dabei keine Rolle“.
Joachim Wissler vom Vendôme in Bergisch Gladbach bei Köln „entwirft scheinbar unbeirrt von kulinarischen Trends und bar ieder verkrampften Stilistik oder hyperkreativen Waghalsigkeit in seinem Geschmacksuniversum mit allerhöchster Präzision seinen ganz eigenen Küchenstil“.
Harald Wohlfahrt von der Schwarzwaldstube in Baiersbronn (Schwarzwald) „hat die Größe und Erfahrung erreicht, sich als Kochkünstler zurückzunehmen und nichts anderes zu wollen, als dem großen Produkt die beste Bühne zu bereiten“.
Diesem Quartett folgen mit je 19 Punkten, die sie bereits im Voriahr hatten
Christian Bau vom Victor's Fine Dining by Christian Bau im saarländischen Perl-Nennig: „Bei seinem Menü ‚Paris -Tokio' weiß man, aus welcher modernen Klassik Bau kommt und merkt auch in punkto Produktqualität sowie bei den Zubereitungsarten schnell, wohin es ihn zieht.“
Thomas Bühner vom „La Vie“ in Osnabrück: „In seinem kompositoríschen Mut verbindet er die bei 48° gegarte Seezunge mit süßer Thai-Fischsauce und fein dosiertem Mandarinen-Aroma und verwandelt das Gericht durch viele bunte Kräuter und Gemüse aus seinem großen Garten in ein Gemälde.“
Sven Elverfeld vom „Aqua“ in Wolfsburg: „Er bietet sanft geschmortes Schweinekinn mit warm mariniertem Kaisergranat mit Krustentiermayonnaise, Koriander, Ingwer und zugleich frischem wie erdigem Saft von fermentierten Karotten als repräsentatives Gericht für sein Bestreben, die stets vorhandene große Komplexität nicht plakativ zu betonen, sondern dem Gast ein Gefühl der Harmonie zu vermitteln.“
Claus-Peter Lumpp vom Bareiss in Baiersbronn im Schwarzwald: „Seine Gerichte sind so aufwendig komponiert, dass er oft drei Teller braucht, um alles an den Gast zu bringen, was ihm zum Thema Gänsestopfleber oder Steinbutt einfällt. Vor manchen sitzt man angesichts solcher Kochkunst fast andächtíg“
Tim Raue vom Restaurant Tim Raue in Berlin: „Der international bekannteste Koch in der Hauptstadt geht derzeit mit so viel Elan und kreativer Energie ans Werk wie kein anderer in Deutschland.“
Christoph Rüffer vom Haerlín in Hamburg; „Der begnadete Tüftler imponiert auch durch das riesige Repertoire sicher eingesetzter Aromen und verbindet markante Gewürze geradezu tänzerisch leicht.“
Peter Maria Schnurr vom „Falco“ in Leipzig: „Die Gerichte des Temperamentsbündels, das kräftige Aromen, überraschende Kombinationen und ausgefeilte Tellerarrangements liebt, sind kraftvoll und laut, bleiben aber stets im Rahmen des Harmonischen.“
Hans Stefan Steinheuer von Steinheuers Restaurant zur alten Post in Bad Neuenahr; „Der größte Weinversteher unter den deutschen Spitzenköchen überrascht mit Landmilchsauce zur kross aufgeschuppten, in heißem Öl confierten Rotbarbe mit Pulpo oder höchst aromatischem kambodschanischem Pfefferius zum Reh.“
Die weiteren Auszeichnungen 2017
Aufsteiger des Jahres: Thomas Schanz, „Restaurant Schanz“, Piesport an der MoselEntdeckung des Jahres: Felix Schneider, „Sosein“, Heroldsberg bei Nürnberg
Gastgeber des Jahres: André Macionga, Restaurant „Tim Raue“, Berlin
Sommelier des Jahres: Marco Franzelin, Restaurant „Vendôme“, Bergisch Gladbach bei Köln
Pâtissier des Jahres: Stefan Leitner, Restaurant „Bareiss“, Baiersbronn (Schwarzwald)
Gastronom des Jahres: Stefan Hermann, Restaurant „Bean & Beluga“, Dresden
Bester deutscher Koch im Ausland: Silvio Nickol, Hotel „Palais Coburg“, Wien
Hotelier des Jahres: Frank Nagel, Restaurant „Weissenhaus Grand Village Resort & Spa“, Wangels an der Ostsee
Hintergrund: Wie die Gastroführer Punkte und Sterne vergeben