Schmecken muss es, die verwendeten Produkte Saison haben und aus der Region kommen. Das ist Redzepis Dogma, dem er sich 2004 sogar mittels Manifest verschrieben hat. Dem Manifest der Neuen Nordischen Küche („New Nordic Cuisine“), das er damals mit Noma-Mitgründer Claus Meyer und weiteren skandinavischen Spitzenköchen unterzeichnete. Es beinhaltet, ausschließlich auf saisonale Produkte aus dem nordischen Raum zurückzugreifen. Längst ist diese Idee von „Zeit und Raum“ zu einem weltweiten Küchentrend geworden, doch brachte sie ihm anfänglich auch einiges an Spott ein. „Robbenficker“ wurden er und seine Mitstreiter aufgrund der begrenzten, nordischen Zutatenauswahl in den Anfangszeiten des Nomas im Jahr 2003 genannt und das Restaurant im Kopenhagener Hafen selbst als „Lebertran-Bude“ verhöhnt.
René Redzepi und ein kleiner Teil seines Teams im Noma
Wie ein Guerillero durchs Unterholz
Doch Redzepi gibt sich, seinem Team und seinen Ideen Zeit zum Reifen. Er kopiert dabei nicht - er erfindet neu. Er macht grüne Holunderbeeren mit Hilfe von Salzlake und Zeit zu Kapern und verwandelt so alles, was in Dänemark und Umgebung wächst und genießbar ist, in Zutaten seiner Küche. Wurden schrullige Kräutersammler früher noch belächelt, sind sie als wichtige Lieferanten Redzepis nun schon seit Jahren Beihelfer dieser Foodrevolution aus Kopenhagen. Wollten Seeigel-Fischer aufgrund niedriger Verkaufszahlen bereits ihr Geschäftsmodell ändern, finden sie in Redzepi plötzlich einen Abnehmer für die stacheligen Meeresfrüchte.Fermentation wird auf diesem Weg eines der bestimmenden Erkennungszeichen von Redzepis Küche. Das Vergären von Lebensmitteln mit unterschiedlichen Hilfsmitteln wie Milchsäure, Schimmelpilzen, Alkohol oder Essigsäure macht es ihm möglich, neue Aromen zu kreieren und aus dem wenigen, was im Norden ständig verfügbar ist, etwas Verwertbares und noch dazu Haltbares zu machen. Tatsächlich macht der Mangel an eigenständigen, nordischen Produkten Redzepi sogar noch kreativer und gewissermaßen selbst zum Jäger und Sammler. Wie ein Guerillero streift er als eine Art kochender Widerstandskämpfer seither durchs dänische Unterholz und sammelt alles Genießbare ein, was er findet. Flechten, Beeren und Baumrinde landen so auf seinen Tellern. Er zapft Wasser aus Birken und sammelt Waldameisen, um sie in sein Menü einzubauen. All das, um zu zeigen, was es bedeutet, ein Koch in der nordischen Region zu sein und dass es dort eben doch funktioniert, saisonal und regional zu kochen. Diejenigen, die ihm früher „Walpenis“ und all die anderen bösen Worte zugerufen haben, sind längst verstummt.
Regionaler Kosmopolit
Genau wie jene, die ihn in seiner Jugend als „Ausländer“ beschimpft hatten. Der 1977 in Kopenhagen als Sohn eines mazedonischen Einwanderers und einer Dänin geborene Redzepi sah sich Zeit seiner Jugend in Dänemark mit rassistischen Anfeindungen konfrontiert. Er legte sich ein dickes Fell zu, lernte schon früh, sich gegen solch schreiende Dummheit zu behaupten. Inzwischen könnte man ihn, den Identitätsstifter für die neue dänische Küche schlechthin, getrost als dänischsten Dänen überhaupt bezeichnen. Natürlich pfeift Redzepi, der mehrere Fremdsprachen fließend spricht und trotz aller regionaler Tendenzen in seiner Küche als Kosmopolit weltweit bestens vernetzt ist, auch auf einen solchen Titel und ruht sich nicht auf dem Erreichten aus.Im Gegenteil, all diese Widerstände trieben und treiben ihn fortwährend an, noch besser auf seinem Gebiet zu werden. Auch althergebrachte Konventionen stören ihn dabei wenig. So fordert er seine Gäste auf, einzelne Gerichte des Menüs im Noma mit der Hand zu essen. Sogar ein Tatar: „Damit man das Fleisch mit den eigenen Händen spürt", sagt Redzepi und Silberbesteck gibt es im Noma schon gleich gar nicht. So zeigt er bei der vierten Auszeichnung zum besten Restaurant der Welt im Jahr 2014 der versammelten Kochprominenz und der anwesenden Presse, vor allem aber jenen, die ihn anfangs verspotteten, den Stinkefinger – und das nicht nur symbolisch. In der dazugehörigen Rede, die eigentlich für die Verleihung zwei Jahre zuvor gedacht war, macht er sich Luft: kaugummikauend, stolz auf das Erreichte und zu allem, was sich bei ihm an Druck in den vergangenen Jahren aufgestaut hatte. Wohlwissend, dass er selbst nicht der einfachste Mensch im Umgang ist und auch, dass er noch nicht da ist, wo er wirklich hin will.
Dritter von Links: René Redzepi
Diesem Ziel ein Stück näher kommen wird er im Jahr 2017. Dann nämlich wird Redzepi das Noma an seinem bisherigen Standort schließen und es im Herbst, nach kurzem Pop-Up-Zwischenstopp in Mexico im Frühjahr, unweit des alten Restaurants im Kopenhagener Stadtteil Christiania wiedereröffnen. Mit eigenen Gewächshäusern, größerem Labor und zugehöriger Lagerfläche für allerhand Fermentiertes aus dem Norden. Und vor allem „nah genug an meinem Zuhause, denn ich würde nirgendwo eröffnen, wo ich nicht mit dem Fahrrad hinfahren kann“, sagt Redzepi. Danke für den Widerstand, René!